Es ist Winter und im Wartezimmer des Orthopäden herrschen kriegsähnliche Zustände! Die Patienten, fast alle über 70, kennen ihre Rechte, aber kennen sie auch Mitgefühl?????
Als Musiker muss man Zipperlein am Halteapparat ernst nehmen um bis zur Rente zu kommen. Der Normalbürger scheint aber erst im Rentenalter Zeit für seinen Körper zu haben und so lag der Altersdurchschnitt im Wartebereich bei ungefähr 70 Jahren. Von Altersmilde oder Weisheit war da trotzdem nicht viel zu merken.
Der Nahkampf begann schon in der Warteschlange an der Rezeption. Auch wenn die Dame hinter mir noch in den Rucksack gekrochen wäre, sie war trotzdem erst nach mir dran. Trotzdem versuchte sie meine Anmeldung durch ausdauerndes Schieben zu beschleunigen. Als dann geklärt war, dass ich einen Termin habe und in das Wartezimmer geschickt wurde, ging der Spaß weiter. Das Wartezimmer war Recht voll, aber neben einer Frau Anfang 70 war noch Platz, also setzte ich mich und tupfte mir die Nase mit einem Taschentuch ab. Prompt stand die Frau auf und quetschte sich zwischen zwei andere Damen. Männer gehen offenbar nicht zum Arzt.
Eine andere Frau, noch in den 60ern und vergleichsweise jung, wirft einen Blick auf ihre Uhr (9:45) und beginnt zu schimpfen: „Ist doch unglaublich, da hab ich einen Termin um viertel Zehn und sitze immer noch hier!“ 3 weitere angehende Patientinnen stimmen ihr zu und haben ihren Termin auch zur gleichen Zeit. Ich überlege noch ob viertel 10 jetzt viertel VOR zehn oder Viertel NACH 9 bedeutet…..Da geht die Wartezimmertür auf und eine Frau mit schwerer Luftnot schleppt sich mit letzter Kraft herein. Ich denke noch „Oh Gott, die Arme!“ Da landen auf ihr schon die ersten schiefen Blicke und sie wird in’s Verhör genommen: „Na sie ham’s wohl mit dem Herzen???!!“ Die Frau ringt noch nach Luft, antwortet aber tapfer „….N…ein…… i……. ch……. war……… k…….. rank……“ Die Blicke werden schärfer „Und was machen sie dann hier?“ tiefes Luft holen „…..Ist……..2……W……. ochen…….her.“ Inzwischen hätte jedem klar sein können, dass die vergangene Erkältung wohl noch das kleinste Problem der armen Frau ist. „Ich setz mich weg, ich will keine Erkältung!“ Kommt die scharfe Antwort und die Sitznachbarin, die vorher schon nicht neben mir sitzen wollte steht auf und wechselte erneut ihren Platz. „Ich will auch nicht krank werden!“ stimmt eine weitere Frau im Oberlehrerton mit ein. 5 Minuten Stille. Dann stehen die 2 Erkältungsgegnerinnen auf und verlassen das Wartezimmer, aber man kann sie durch die Tür an der Rezeption schimpfen hören „Da ist eine furchtbar krank, da will ich nicht sitzen!“ Die Bezichtigte muss das auch gehört haben, starrt aber tapfer Löcher in die Luft und ich schäme mich fremd für diese herzlosen Tanten die gerade gegangen waren und das Wartezimmer als Sperrzone deklariert haben.
Das war aber noch nicht alles. Im späteren Verlauf kam ich mit einer anderen Anfangachzigerin in’s Gespräch und fand es zunächst ganz angenehm, bis sie begann sich darüber zu beschweren, dass es den Flüchtlingen heute besser ginge als damals den Sudetendeutschen, die auf ihrem Weg „heim in’s Reich“ durch Bayern mussten. Die Flüchtlinge heute wären ja nicht mal Deutsche! Dass auch Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft MENSCHEN mit einer Würde sind, schien ihr dagegen nicht so einleuchtend.
Ich sage Euch, der Arzt war gut, aber ich überlege mir in Zukunft trotzdem 3 Mal ob ich vor dem Rentenalter und ohne ordentliche Schwerhörigkeit nochmal eine orthopädische Praxis betrete!